diskriminierungskritische Druckwerkstatt

„Die Kontextschule ist ein Fortbildungsformat zu Macht- und Rassismuskritischen Ansätzen in der kulturellen Bildungsarbeit. Je zwölf Berliner Lehrer*innen und Künstler*innen schaffen sich gemeinsam mit dem Team der KontextSchule während zweier Jahre einen Denk- und Aktionsraum. Dieser (Zeit)Raum soll das Arbeiten im Netzwerk und eine Kontinuität im gemeinsamen Nachdenken und Handeln im Feld der Kulturellen Bildung ermöglichen.“

„Eine diskriminierungskritische Druckwerkstatt als AG an der Schule“ lautete der Titel des Projektvorhabens von Simone Schardt, Jorinde Splettstößer und mir im Rahmen der KontextSchule 2018 – 2020

Ist Machtkritik an der Schule möglich? Wie kann eine Druckwerkstatt gemeinsam mit Schüler:innen nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen aufgebaut und als Ort der Selbstorganisation und Ermächtigung genutzt werden? Kann die Suche nach einem Raum und dessen Gestaltung/ Einrichtung eine kritische Auseinandersetzung mit Machtstrukturen und Barrieren sowie ein kollektives Aushandeln von verschiedenen Bedürfnissen anregen?
Können Zeichnen und Drucken in verschiedenen Techniken der Artikulation von Machtkritik und Dissens, aber auch dem Austausch und der Kollektivität untereinander dienen? Ist die Beschäftigung mit feministische Zine-DIY-Kultur ein guter Ausgangspunkt für die Produktion eigener Bilder und Texte?
Diese Fragen, die wir uns bei der Konzeption unseres KontextSchulprojekts stellten, bearbeiteten wir in Form gezeichneter oder collagierter Mini-Zines (kleines selbstgemachtes Heft). Darüber hinaus nutzten wir das Format „Zine“ für unsere Abschlussdokumentation.

kritische Ortserkundung

Im Rahmen des Festivals „Platz für Diversität?! – Diskriminierungskritische Allianzen zwischen Kunst und Bildung“ das im Mai 2020 in Berlin statt fand, luden Simone Schardt, Jorinde Splettstößer und ich zu einer kritischen Ortserkundung im Berliner Bezirk Schöneberg ein. Wir hatten Fragen und kleine Handlungsanweisungen vorbereitet, welche die zwei Erkundungsrunden lenken sollten.

Zu Beginn des Workshops erstellten die Teilnehmer:innen ein eigenes Zine, in welches sie ihre Notizen, Gedanken und Zeichnungen eintragen konnten. Die Fragen der ersten Runde bezogen sich allgemein auf verschiedene Wahrnehmungsebenen und lauteten zum Beispiel: „Nimm dir an drei Orten 5 Minuten Zeit, um ein kleines Detail zu zeichnen.“ Oder: „Halte an verschiedenen Orten deines Weges einen Moment inne, nimm die Geräusche um dich herum wahr und zeichne sie in Form eines „graphic score“ in dein Zine.“ In der zweiten Runde bezogen sich die Fragen auf verschiedene Diskriminierungskategorien: „Was könntest du an diesem Ort ohne Geld machen, was nicht?“ Oder: „Welchen sexistischen Markierungen, Symbolen und Wörtern begegnest du auf deinem Weg?“
Im Anschluss stellten wir uns unsere Erkundungsfragmente gegenseitig vor und fragten die Teilnehmer:innen ob die Methode ihren Blick für diskriminierende Phänomene im öffentlichen Raum schärfen konnte oder an welchen Stellen sie gegebenenfalls verbessert werden könnte.

Zine zur „Kritischen Ortserkundung“ Karte                                                                  Zine zur „Kritischen Ortserkundung“ Fragen  

lesekreis

Zur Vertiefung unserer Themen und Auseinandersetzungen sowie zur Verknüpfung von Theorie und künstlerischer / lehrender Praxis und zum Austausch darüber, initiierten Christine Lemke und ich im Frühjahr 2020 im Rahmen der Kontextschule eine Lesegruppe zur kritischen Pädagogik, zu der wir uns einmal im Monat treffen.

Über das Lesen hinaus ist uns wichtig, Erfahrungen aus unseren jeweiligen praktischen Tätigkeitsfeldern mit der Lektüreerfahrung zu verbinden. Dazu überlegen wir uns kleine Scores (Aufgabenstellungen / Handlungsanweisungen), durch die wir die Textinhalte an die Reflexion unserer jeweiligen persönlichen Erfahrung anbinden. Jeden dritten oder vierten Lesekreistermin widmen wir diesen Scores. Das können zum Beispiel spezifische Fragestellungen sein, zu denen Zitate, Erfahrungen, Recherchen, Überlegungen, Bilder, künstlerische Auseinandersetzungen etc. gesammelt werden, es kann gemeinsam ein Zine gestaltet werden…ein Text kann vertont werden… Die Bilder zeigen kleine Ausschnitte einzelner Scores.

Lesekreisscores von Christine Lemke, Danja Erni und Anna Kölle_Ausscnitte               

phases when people realize their privileges

Für den Prozess den weiße Menschen durchlaufen, wenn sie sich mit Rassismus auseinandersetzen, hat Paul Gilroy fünf Schritte oder emotionale Phasen identifiziert, die sich wahrscheinlich auch auf die Wahrnehmung anderer Privilegien anwenden lassen: 1. Verleugnung, 2. Schuld, 3. Scham, 4. Anerkennung, 5. Wiedergutmachung. Diese Phasen oder Schritte sind nicht als Leiter zu verstehen, die mensch, einmal hinaufgeklettert, nie wieder heruntersteigt. Vielmehr handelt es sich um ein Modell, das Reaktionen und Emotionen darstellt, die dieselbe Person in verschiedenen Situationen wiederholt erfahren kann.

Auf diese Phasen stieß ich in einer Publikation mit dem Titel „I can fix it“. Sie ist das Ergebnis einer Recherche, für die die Künstlerin damali ayo, 2000 Menschen bat, jeweils fünf konkrete Dinge zu nennen, die weiße tun können, um Rassismus zu beenden. Die Ergebnisse der Recherche wurden von ayo zu konkreten Handlungsanweisungen zusammengefasst. Der erste Teil ist an weiße Menschen gerichtet und stellt eine Art Aktionsplan in fünf Schritten auf: „admit it“, „listen“, „educate yourself“, „broaden your experience“, „take action“. Der zweite Teil von „I can fix it“ adressiert Schwarze Menschen und People of Colour und erläutert die verschiedenen Abwehrmechanismen, die weiße Menschen erfahrungsgemäß an den Tag legen, wenn sie aufgefordert werden, sich mit den ihnen inhärenten Rassismen auseinander zu setzten: „denial“, „guilt“, „shame“ und „recognition“. Die fünfte der unter Verweis auf Paul Gilroy und Grada Kilomba identifizierten Phasen heißt „reparation“. In diesem Stadium agieren weiße Menschen als Verbündete gegen Rassismus. Mich hat zunächst interessiert, diese Emotionen und Reaktionen zeichnerisch zu erkunden, um sie dadurch für mich greifbarer zu machen. Das Zeichnen brachte mich schließlich auf die Idee, zwei kleine Zines für’s tägliche Üben zu konzipieren, die in der Hosen-oder Handtasche mitgeführt und zu kleinen täglichen Reflexionsübungen genutzt werden können. Neben den Zeichnungen habe ich Platz für eigene Notizen gelassen.